Viele Bankkunden gehen selbstverständlich davon aus, dass sie jederzeit über ihr Guthaben verfügen können – und zwar in der Form, die sie selbst bestimmen. Ein aktuelles Urteil der Rechtbank Amsterdam (Urteil vom 12. Juni 2025, ECLI:NL:RBAMS:2024:8894) zeigt jedoch: So einfach ist es nicht.
Der Fall: Fashion One Europe B.V. gegen ING Bank
Die niederländische Gesellschaft Fashion One Europe B.V. unterhielt zwei Geschäftskonten bei der ING Bank. Im September 2019 kündigte ING die gesamte Geschäftsbeziehung, da Fragen im Rahmen ihrer Know Your Customer (KYC)– und Anti-Money Laundering (AML)-Pflichten nicht zufriedenstellend beantwortet wurden.
Die Bank gewährte Fashion One eine Frist von drei Monaten, um das Guthaben auf ein anderes Konto zu übertragen. Dies geschah nicht. Im Dezember 2019 wurden die verbliebenen knapp 492.000 EUR daher auf ein internes ING-Konto umgebucht.
Im Jahr 2020 verlangte Fashion One die Auszahlung – jedoch ausschließlich in bar.
Die Bank lehnte ab: Eine Barauszahlung in dieser Höhe sei unsicher, logistisch nicht machbar und auch nicht mehr Teil der Dienstleistungen von ING. Eine Überweisung auf ein anderes Konto im Namen von Fashion One sei hingegen jederzeit möglich.
Die Argumente der Parteien
Fashion One Europe B.V.
- Habe einen unstreitigen Zahlungsanspruch gegen ING.
- Sei nicht verpflichtet, ein neues Konto zu eröffnen.
- Daher könne nur eine Barauszahlung in Betracht kommen.
ING Bank
- Barauszahlungen in dieser Größenordnung seien mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden.
- Filialen seien strukturell nicht mehr darauf eingerichtet (keine Tresore, keine Sicherheitsräume, keine Geldtransporte).
- Es sei unverhältnismäßig, von einer Bank zu verlangen, fast eine halbe Million Euro bar auszuzahlen.
- Eine Überweisung auf ein Konto im Namen des Kunden sei der einzig zumutbare Weg.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Gericht stellte klar: Der Anspruch auf Auszahlung des Guthabens war unstreitig. Die Frage war allein: In welcher Form muss die Zahlung erfolgen?
Nach Art. 6:112 Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch (BW) kann ein Gläubiger grundsätzlich Zahlung in gesetzlichem Zahlungsmittel verlangen – also in bar wie auch per Überweisung. Doch dieses Recht ist nicht grenzenlos. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (redelijkheid en billijkheid) kann ein Baranspruch ausgeschlossen sein, wenn er unzumutbar ist.
Das Gericht folgte den Argumenten der Bank:
- Sicherheitsrisiken seien real und nachvollziehbar.
- Filialen seien nicht mehr auf Großbeträge in bar ausgelegt.
- Geldtransporte könne die Bank nicht einfach organisieren.
- Vor allem: Fashion One habe diese Argumente nicht ausreichend bestritten.
Ergebnis:
- Auszahlung nur per Überweisung auf ein Konto im Namen von Fashion One.
- Keine Verpflichtung zur Barauszahlung.
- Fashion One trägt die Prozesskosten.
Rechtlicher Hintergrund
- Kündigung von Bankbeziehungen
Banken dürfen Geschäftsbeziehungen beenden, wenn sie Compliance-Risiken feststellen und ihre KYC/AML-Pflichten nicht erfüllt sehen. Diese Möglichkeit ist in den AGB verankert und wird durch EU-Recht (u. a. 5. und 6. Geldwäscherichtlinie) gestützt. - Recht auf ein Basiskonto – aber nur für Privatpersonen
Die EU-Zahlungskontenrichtlinie (2014/92/EU) gewährt jedem EU-Bürger ein Recht auf ein Basiskonto. Dieses darf nicht ohne Weiteres gekündigt werden. - Keine Absicherung für Unternehmen
Unternehmen haben kein gesetzliches Recht auf ein Basiskonto. Kündigt die Bank die Geschäftsbeziehung, besteht die Gefahr, dass das Unternehmen ohne Bankverbindung dasteht – und damit auch ohne Zugriff auf sein eigenes Geld.
Warum dieser Fall besonders ist
- Es geht nicht um Betrug oder strafbares Verhalten, sondern um Compliance und Formalitäten.
- Selbst unstreitiges Guthaben kann jahrelang blockiert sein, wenn kein Konto mehr existiert.
- Der Anspruch „Es ist mein Geld, ich will es bar“ stößt an praktische und rechtliche Grenzen.
Praxistipps für Unternehmen
- Sofort reagieren: Sobald Ihre Bank Fragen zu Transaktionen, Geschäftstätigkeit oder wirtschaftlich Berechtigten stellt, holen Sie sofort anwaltlichen Rat ein.
- Fristen ernst nehmen: Die dreimonatige Frist hätte ausgereicht, um das Guthaben rechtzeitig zu sichern. Untätigkeit führt schnell in eine Sackgasse.
- Kündigung oft vermeidbar: Unsere Erfahrung zeigt, dass Konto-Kündigungen häufig durch eine fundierte und rechtzeitige Antwort verhindert werden können. Oft genügt ein kurzes Beratungsgespräch.
- Untätigkeit vermeiden: Wer abwartet, riskiert genau das Szenario dieses Falls: Konto geschlossen, Guthaben blockiert, keine neue Bankverbindung.
- Frühzeitige Beratung spart Geld: Ein kurzer anwaltlicher Einsatz zu Beginn ist fast immer günstiger und effizienter als jahrelange Prozesse.
Fazit
Das Urteil der Rechtbank Amsterdam verdeutlicht:
- Auch unstreitiges Guthaben kann blockiert bleiben, wenn es nur in bar gefordert wird.
- Banken dürfen sich auf Sicherheits- und Compliance-Argumente berufen.
- Unternehmen haben keinen Anspruch auf ein Basiskonto und müssen daher besonders wachsam reagieren.
Wichtig: Wenn Ihre Bank Fragen stellt oder gar mit Kündigung droht, handeln Sie sofort. Mit der richtigen anwaltlichen Unterstützung lassen sich Kündigungen oft vermeiden – und Ihr Geld bleibt verfügbar, statt jahrelang blockiert zu sein.
Wie wir Ihnen helfen können
Bei ACG International unterstützen unsere Compliance- und Bankrechtsexperten regelmäßig Mandanten bei Konto-Kündigungen, eingefrorenen Guthaben und KYC/AML-Streitigkeiten. In den meisten Fällen gilt: Ein kurzes Telefonat verhindert oft jahrelange Probleme.
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