Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie schließen einen internationalen Vertrag ab und wählen – wie so oft – niederländisches Recht. Klar, vertraut, übersichtlich. Irgendwo im Vertrag findet sich jedoch auch ein Hinweis auf US-Regeln, ein Transportregime oder eine ausländische Vorschrift. Für Sie wirkt das wie eine praktische Vereinbarung: Der betreffende Teil des Vertrags folgt den passenden Regeln. Fertig.
Doch was, wenn genau dieser eine Satz bedeutet, dass ein ganz anderes Haftungsregime gilt als das, von dem Sie ausgegangen sind?
Was, wenn Sie sich nicht mehr auf schützende niederländische Vorschriften berufen können?
Oder Sie – ohne es zu wissen – dieselbe ungünstige Position einnehmen wie der Absender in einem millionenschweren Haftungsfall?
Genau das ist in der Entscheidung Airgas/UAL geschehen. Der niederländische Hoge Raad hat am 7. November 2025 entschieden, dass eine partielle Rechtswahl – selbst wenn sie sich nur auf ein einziges ausländisches Gesetz bezieht – bindend ist und Vorrang vor dem ansonsten gewählten Recht hat.
Für international tätige Unternehmen ist diese Entscheidung von großer Bedeutung.
Der Fall in verständlicher Form
Ein US-Absender transportierte gefährliche Stoffe von Houston nach Angola. Im Konnossement stand:
- grundsätzlich gilt niederländisches Recht,
- für Transporte von/zu US-Häfen gilt jedoch US COGSA, das amerikanische Seefrachtgesetz.
Während der Löscharbeiten kam es zu einer Explosion. Schnell stellte sich die entscheidende Frage:
Wie weit reicht eine partielle Rechtswahl? Kann ein Vertrag ein ausländisches Haftungsregime aktivieren, selbst wenn es dem gewählten Recht widerspricht?
Das Berufungsgericht bejahte dies.
Der Hoge Raad bestätigte es.
Was bedeutet das für die Praxis?
Der Hoge Raad stellte klar:
- eine partielle Rechtswahl ist voll wirksam,
- auch wenn sie nur ein bestimmtes ausländisches Gesetz betrifft,
- und dieses ausländische Regime hat Vorrang gegenüber dem übrigen gewählten Recht.
Im Ergebnis führte ein scheinbar unscheinbarer Verweis dazu, dass US COGSA vollständig galt, während das niederländische Recht nur ergänzend zur Anwendung kam. Schutzvorschriften des niederländischen Rechts konnten nicht herangezogen werden.
Mit anderen Worten:
Ein einziger Satz entschied über das gesamte Haftungsregime.
Warum betrifft Sie das unmittelbar?
Wenn Ihr Unternehmen international tätig ist, enthalten Ihre Verträge sehr wahrscheinlich bereits partielle Rechtswahlklauseln – manchmal klar formuliert, manchmal versteckt in Standardbedingungen. Typische Beispiele:
- „Für Transportfragen gelten die CMR-Regeln.“
- „Es gelten die einschlägigen FAA-Vorschriften.“
- „Für technische Spezifikationen gilt englisches Recht.“
- „Die US-Sicherheitsregeln finden Anwendung.“
Solche Hinweise wirken harmlos. Doch das Urteil zeigt, wie schnell daraus eine verbindliche Anwendung eines gesamten ausländischen Haftungsregimes werden kann – oft ohne dass dies bei Vertragsabschluss bewusst war.
Dies kann drastische Auswirkungen haben auf:
- die Haftungsverteilung,
- die vorhandenen Einwendungen,
- die Schadenersatzsysteme,
- und das wirtschaftliche Risiko des Unternehmens.
Die eigentliche Gefahr liegt im Unbemerkten
Viele Unternehmen prüfen die rechtliche Tragweite solcher Klauseln erst, wenn ein Streit entsteht. Dann ist der Text verbindlich – und die Folgen erheblich.
Die Botschaft des Hoge Raad ist eindeutig:
Eine einzige partielle Rechtswahl kann Ihr gesamtes Risikoprofil bestimmen.
Und wer dann einem ausländischen Regime unterliegt, findet sich schnell in einer deutlich schwächeren Position wieder als erwartet.
Was bedeutet das für Ihre Verträge?
Wenn Ihre Verträge auf ausländische Gesetze, technische Normen oder Transportregime verweisen, sollten Sie genau wissen:
- welche ausländischen Regeln Sie damit aktivieren,
- wie sie sich zum gewählten Hauptrecht verhalten,
- ob Sie Schutzrechte verlieren,
- und ob sich Ihre Haftung ungewollt erweitert.
Dies erst im Streitfall zu prüfen, ist erfahrungsgemäß zu spät.
Vorbeugen ist deutlich günstiger als prozessieren
Dieses Urteil ist mehr als eine juristische Fußnote.
Es ist eine klare Warnung:
Wissen Sie, was Sie wählen.
Wissen Sie, was Sie verweisen.
Wissen Sie, was Sie bindet.
Wenn Sie sicherstellen möchten, dass eine partielle Rechtswahl Ihren Interessen dient – und nicht gegen Sie arbeitet – sollten Sie Ihre internationalen Verträge rechtzeitig prüfen lassen.
ACG International unterstützt Unternehmen beim Entwurf, der Prüfung und der Verhandlung internationaler Verträge. Enthält Ihr Vertrag eine ausländische Rechtsverweisung oder eine technische Norm? Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, deren tatsächliche Wirkung zu klären.
Vermeiden Sie Überraschungen. Kontaktieren Sie uns gerne.